Prokrastination adé – warum hier Willenskraft überschätzt ist
- Simone

- 7. Okt.
- 2 Min. Lesezeit
„Ich fang gleich an… aber erstmal noch schnell die Küche aufräumen.“Kommt dir bekannt vor? Willkommen im Club der Prokrastinierenden. Laut Studien geben rund 20–25 % der Erwachsenen an, regelmäßig Dinge aufzuschieben – und das nicht nur bei Steuererklärungen. Doch warum tun wir das, obwohl wir wissen, dass es uns stresst? Und warum reicht „mehr Willenskraft“ selten als Lösung?
Was ist Prokrastination eigentlich?
Prokrastination bedeutet nicht einfach Faulheit. Psycholog*innen definieren sie als bewusste, freiwillige Verzögerung einer Aufgabe, obwohl wir wissen, dass es negative Folgen hat. Mit anderen Worten: Wir verschieben Dinge, die uns wichtig wären, gegen unser besseres Wissen. Klingt irrational – und ist es auch.
Forscher wie Piers Steel (University of Calgary) zeigen: Prokrastination hat viel mit Emotionsregulation zu tun. Nicht die Aufgabe selbst ist das Problem, sondern die Gefühle, die sie in uns auslöst: Langeweile, Überforderung, Unsicherheit. Aufschieben ist ein Kurzschluss im Gehirn: lieber jetzt kurzfristige Erleichterung (Netflix) als langfristigen Nutzen (fertige Präsentation).

Warum Willenskraft überschätzt ist
Das gängige Narrativ lautet: „Du musst dich einfach zusammenreißen.“ Das klingt nach Heldenepos, funktioniert aber selten. Willenskraft ist begrenzt. Studien von Roy Baumeister und anderen haben gezeigt, dass Selbstkontrolle eine Art „Ressource“ ist, die erschöpft werden kann – zumindest kurzfristig. Wer glaubt, allein mit eisernem Durchhalten gegen Prokrastination anzukommen, kämpft mit stumpfen Waffen.
Der bessere Ansatz: Systeme statt Selbstvorwürfe
Die Forschung weist darauf hin: Statt Willenskraft zu glorifizieren, sollten wir an den Rahmenbedingungen drehen. Ein paar Beispiele:
Aufgaben klein hackenGroße Projekte wirken wie unüberwindbare Berge. Die Psychologie spricht vom „Zeigarnik-Effekt“: Angefangene Aufgaben bleiben im Kopf präsent. Wer klein anfängt – etwa „nur die Einleitung schreiben“ statt „ganze Bachelorarbeit beenden“ – trickst das Gehirn aus.
Emotionsmanagement statt DruckProkrastination ist oft Flucht vor unangenehmen Gefühlen. Hilfreich sind Strategien, die Emotionen regulieren, statt sie zu ignorieren: Atemübungen, Pausen, kurze Bewegung – oder schlicht die Erkenntnis: „Es muss nicht perfekt sein.“
Verbindlichkeit schaffenStudien zeigen, dass Deadlines und soziale Kontrolle wirken. Wer anderen von seinen Zielen erzählt oder sich in Co-Working-Sessions einklinkt, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dranzubleiben.
Belohnungen einbauenDas Gehirn liebt Dopamin. Kleine Belohnungen nach Teilerfolgen motivieren mehr als die vage Aussicht auf den großen Sieg am Ende.
Selbstmitgefühl kultivierenDie Forschung von Kristin Neff zeigt: Menschen, die freundlich mit sich umgehen, wenn sie scheitern, prokrastinieren weniger. Selbstkritik lähmt, Selbstmitgefühl macht handlungsfähig.
Was hinter dem Nicht-Anfangen steckt
Spannend ist, dass Prokrastination auch ein Symptom sein kann: Perfektionismus, Angst vor Bewertung, mangelnde Klarheit über Ziele. Wer chronisch aufschiebt, sollte nicht nur Produktivitätshacks ausprobieren, sondern tiefer schauen: Welche Sorgen oder inneren Stimmen halten mich zurück?
Prokrastination ist weniger ein Willensproblem als ein Emotionsproblem. Statt die Peitsche der Selbstdisziplin zu schwingen, lohnt es sich, freundlich, systematisch und strategisch vorzugehen. Das macht nicht nur produktiver, sondern auch gelassener.



